Postkarten

„Liebe Michaela!
Viele Grüße aus Regensburg! Wir sind hier in den historischen Gebäuden des Bischofhofes und erfreuen uns an seiner romantischen Architektur. Das Wetter ist kalt und regnerisch, aber wir haben einen Regenschirm, die Stimmung ist wunderbar, das Essen gut und also kann uns das Wetter egal sein.
Alles Liebe!
Deine Ruth“

 

„Hm“, meint der Randolf. „Ist schon so weit richtig. Schreibst du jetzt an jeden dasselbe oder versuchst du zu variieren?“

Okay, ich will mich bemühen.

 

„Liebes Mamherz!
Aus Regensburg viele Grüße!
Das romantische Gebäude des Bischofshofes erfreut uns mit seiner architektonischen Historie.
Der Regen wettert gegen die Scheiben, aber die Stimmung ist oben, der Regenschirm im Keller, die Badewanne tut gut und das Essen kann uns egal sein.
Alles Liebe!
Deine Ruth“

 

„Was sagst du dazu?“, frage ich den Randolf. „Unterschreibe ich später“, antwortet er, über sein Kreuzworträtsel gebeugt, also muss ich ohne seine Unterstützung weiterschreiben.

 

„Liebe Schwiegermutter!
Aus Burg Regen viel Grüße!
Das Wetter überschwemmt die Architektur, der Regenschirm fliegt davon, die Stimmung ist nasskalt und die Badewanne kann uns egal sein.
Alles Liebe!
Deine Ruth“

 

„Na, wie läuft’s?“ fragt der Randolf.
„Prima!“, versichere ich ihm und schreibe auch noch gleich an seinen Freund, den Mario.

 

„Lieber Mario!
Aus Burg Regen viele Güsse!
Das Wetter ersäuft die Romantik, der Regenschirm ist oben, die Stimmung im Keller, die Architektur eine Badewanne und Du kannst uns egal sein!
Liebe alles!
Dein Randolf“

 

Der Randolf steht auf und räkelt sich.
„Alles okay?“

„Aber klar! Ich hab schon für dich unterschrieben.“

 

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Postkaretn - Glosse von Ruth Hanke
Glossen von Ruth HankePostkarten

  • E.H.

    Humor in der Literatur? Leider nicht so oft, und wenn, dann auch nicht immer wirklich witzig. Hier in „Postkarten“ ist es mal anders. Da entzündet sich geradezu ein kleines Feuerwerk über einer mehr oder weniger lästigen Pflichtübung der Grußbotschaften aus der Fremde.
    Heute in unserer digitalen Zeit sicher nicht mehr die Nummer 1 in der Kommunikation, gibt es sie dennoch, die Postkarten mit den glänzenden Sehnsuchtsbildern fremder Regionen auf der Ansichtsseite. Die Texte auf der Rückseite folgen im Aufbau gerne einer erprobten Regel: hier ist es toll, das Wetter ist es auch -andernfalls ist es auch ok- mir geht es gut, ich grüße alle ganz lieb, Unterschrift.
    Ruth Hanke startet ebenfalls so, und sie würde wohl bald das Dutzend geschafft haben, wenn ihr Alter Ego, sprich „der Randolf“ sie nicht auf seine unnachahmliche Weise auf das drohende Stereotyp eintretender Langeweile hingewiesen hätte. Das nun löst die vermutete Blockade. Mei, wie sich hier jemand steigern kann. Ruth Hanke fantasiert sich in beinahe Morgenstern’sche Wortkomik: Dieser frech-frische Slalom quer über die Freiflächen der bunten Urlaubskarten macht Spaß. Lachen natürlich inklusive. In diesem Sinne noch ein Postkartengruß-Zitat der Autorin: „Liebe alles“ !

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