Guter Rat ist teuer

Ich fuhr mit dem Rad aus unserem Carport und hatte das amorphe Gefühl: Es stimmt etwas nicht. Normalerweise, dachte ich, ist doch bei meinem Rad auf dem Gepäckträger ein Korb drauf. Naja, vielleicht heute nicht. Ein paar Meter weiter schaltete ich den Gang herunter und dachte: „Aber in dem fünften Gang bin ich auch nicht hier herauf gefahren.“

Wieder beschloss ich, nicht so kleinlich zu sein, da fiel mir auf, dass auch die Fahrradklingel fehlte. Vorne an der Ecke stellte ich fest, dass ebenfalls die Farbe nicht stimmte, da endlich zwang mich die Faktenlage, es einzusehen: Das war nicht mein Rad.

Ich wendete und sah, dass dieses Rad, das meiner Tochter Susi gehörte, das einzige war, das im Carport stand. „Diebstahl!“, schrie ich. „Sie haben mir mein Rad geklaut!“
Meine Nachbarin versuchte, mich zu beruhigen: „Da ist es doch!“ „Nein, das ist Susi´s!“ Sie betrachtete mich sinnend: „Und dass vielleicht die Susi dein Rad genommen hat?“
Puh, nochmal Glück gehabt, genau so war es!

Der Sommer ist da und mit ihm die Freizeit und die unschätzbare Möglichkeit, Körper und Geist gleichermaßen anzuregen, zu erholen und zu entspannen auf dem beliebtesten Freizeit – und Sportgerät der Deutschen: Dem Fahrrad!

Hardcore-Radler wie meine Schwiegermutter, für die das Rad kein Sportgerät, sondern ein Körperteil ist, warten natürlich nicht auf den Sommer und schönes Wetter, um Rad zu fahren. Schließlich muss sie auch im Winter bei Schneegestöber einkaufen und bei Platzregen auf die Bergkirchweih fahren, aber bei den meisten: Es ist hart zu sagen, aber dazu sind sie zu weich.

Erst im Frühjahr holen sie die geliebte Tretmühle aus dem Keller, um den Drahtesel auf Vordermann zu bringen. Aber dann wird nichts gespart an Geld und an Mühen, um das Rad für die Saison fit zu machen. Mancher lässt es dann dabei bewenden nach dem Motto: Hauptsache das Rad ist fit, dann brauche ich es nicht zu sein, andere unternehmen ausgedehnte Touren in die nähere oder weitere Umgebung.
Ich mag am Radfahren besonders den Blick in die schönen Gärten, den Fahrtwind im Gesicht und das immer wieder überraschende Erlebnis, was die anderen Verkehrsteilnehmer unter „rechts“ und „links“ verstehen.

Das erhebende Lebensgefühl dabei ist am schönsten in dem Lied: „Ich fahr so gerne Rad …“ wiedergeben: „ … dann tret ich ins Pedal und sag: Ihr könnt mich Mal
alle überholen, ich geniess den Tag, ich fahr so gerne Rad!“

Mich mal alle überholen? Ausgerechnet in der Bundeshauptstadt Berlin habe ich das sichere Gefühl, dass, wenn man mit dem Auto unterwegs ist, einen jeder Fünfjährige auf einem Tretroller überholen kann, dass aber die vielen Radfahrer von allen Seiten, schnell wie der Blitz an einem vorbeiflitzen, dass sie alles dürfen, alles können und die normalen Regeln für sie buchstäblich nicht gelten. In Berlin ist die Fortbewegung mit dem Rad der Königsweg, ja der einzig effektive Weg von A nach B zu kommen: Schnell, gesund, umweltfreundlich und billig.

Billig? Nur für die wirklich ganz Gründlichen und Ausgefuchsten wie meinen Sohn Daniel, der sein Rad in Fahrradkurier-Qualität mit einem sehr schweren und teuren Schloss sichert, dem nicht einmal die Panzerknacker aus Entenhausen, die den Geldspeicher vom alten Dagobert Duck knacken, etwas anhaben könnten. Ansonsten fällt der geliebte Drahtesel nämlich unweigerlich der Fahrrad-Mafia zum Opfer, die mehrmals täglich flächendeckend die ganze Stadt abgrast; ausgerüstet mit Bolzenschneidern kommen sie gleich mit mehreren Lastwagen, um alles aufzuladen, was nicht niet- und nagelfest ist – und weg ist die schöne Tretmühle.

Wem das fünfmal hintereinander in einem Sommer passiert – keine Seltenheit, habe ich mir sagen lassen! -, der schließt sich der Erkenntnis eines Mitbürgers mit Migrationshintergrund an, der mit seinem eigenen Verständnis der deutschen Sprache, anmerkte:

„Guter Rad ist teuer!“

 

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Guter Rat ist teuer - Glosse von Ruth Hanke
Glossen von Ruth HankeGuter Rat ist teuer

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