Das Herz der Dinge

Vier Mann aus der Fraunhofer Gesellschaft waren auf der Autobahn unterwegs zum Treffen mit Geschäftspartnern, als plötzlich der Dienstwagen sichtbar schwächelte und, offenbar ohne Grund, immer langsamer und langsamer fuhr.

Man vermutete einen Motorschaden, hielt auf der Standspur und informierte telefonisch den Geschäftspartner, dass eine deutliche Verspätung bevorstünde.
„Macht´s dir was aus“, fragte der Randolf den Fahrer „wenn ich es einmal versuche?“ „Aber nein!“, versicherte ihm dieser: „Hier, bitte sehr!“ Der Randolf nahm hinter dem Lenkrad Platz und das Auto fuhr wie der Rennwagen von Michael Schumacher. Man erreichte pünktlich das Treffen und wurde vom Geschäftspartner gefragt, warum man denn hier falschen Alarm geschlagen habe.

„Woran lag es denn?“, wollte ich vom Randolf wissen.

„Ganz einfach!“, erwiderte dieser. „Wenn man dauernd untertourig fährt, verstopft der Vergaser, da kann das Auto gar nichts dafür.“

Vergaser? Meiner Meinung nach ist es etwas mehr als das. Ich habe schon oft beobachtet, dass es Menschen gibt, die mit den Dingen quasi befreundet sind. Meine Schwiegermutter zum Beispiel schafft es, dass ihr Uralt-Schnellkochtopf ihr gegenüber immer zu gutwilliger Zusammenarbeit bereit ist, während er mir nicht dasselbe Zutrauen entgegen bringt – vielleicht spürt er, dass ich im Grunde Angst vor ihm habe.

Umgekehrt bin ich mit meinen Bürsten, Nagelfeilen, Pinzetten und Makeup-Pinseln, die mir meine Töchter dauernd entführt haben, eine heimliche Allianz eingegangen: Ich habe jedem dieser wichtigen Dinge immer wieder erklärt, wo sein Platz ist und es inständig gebeten, auf sich aufmerksam zu machen, wenn es von dort entführt wird.

Als erstes habe ich die Nagelschere für ihre Unentbehrlichkeit anerkannt, ein Loblied auf ihre Schärfe gesungen und ihr erzählt, wie lange wir schon wunderbar zusammen gearbeitet haben und sie gleichzeitig gebeten, sie möchte sich doch nicht unter dem Bett verstecken. Das Ergebnis dieser Behandlung wurde, das muss ich ehrlich zugeben, nicht gleich am nächsten Tag sichtbar, aber mit der Zeit dankte mir das eine oder andere Utensil meine nachhaltige Bemühung: Die Haarbürsten standen sauber gewaschen in ihrem Behälter, die Scheren glänzten wie poliert und vollzählig im Etui; sogar die alten Verpackungen und zerknüllten Taschentücher fanden den Weg in den Papierkorb, anstatt einen unordentlichen Ring darum herum zu bilden.

Ich weiß nicht, ob die Dinge eine Seele haben oder nicht. Aber es lohnt sich, die gleichbleibende, gutwillige Aufmerksamkeit aufzuwenden, als ob dem so wäre.
Denn auch die Dinge – davon habe ich mancherlei Zeugnis – mögen es nicht, ignoriert zu werden, wie uns mein Sohn Daniel berichtet hat.

Auf einer Wanderung in Schweden wusch er in einem Bach seine Strümpfe und ließ diese in seinem Leichtsinn etwas zu lange aus den Augen. Als er aufsah, hatten sich die Strümpfe auf die Socken gemacht und waren schon ein paar hundert Meter weiter unten.

„Daher“, meinte der Dany. „kommt also das Sprichwort: Es geht alles den Bach runter!“

 

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Das Herz der Dinge - Glosse von Ruth Hanke
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