Danke, sagt man!

„Franziska!“, fragte ich mit banger Vorahnung, als meine Kleine aus der Grundschule kam. „Wo ist Deine Jacke?“ Sie sah mich an mit schreckgeweiteten Augen. „We … welche Jacke?“ stotterte sie. Aber ich wusste bereits, dass sie zum vierten oder fünften Mal in diesem Frühling ihre Jacke in der Schule vergessen hatte. Diese ihre Angewohnheit alles, was irgend möglich war, auszuziehen und das entsprechende Kleidungsstück danach sofort zu vergessen, genauso wie Schuhe und Strümpfe, Federmäppchen, Mal– und Turnbeutel, Haargummis und natürlich Schlüssel hatte sich in unserer Familie bereits zu einem zählbaren Finanzposten ausgewachsen.

Meine Schwiegermutter war wütend, als Franziska den nagelneuen Wintermantel für 90 Euro verbriefte dreimal anhatte, ihn vergas und er danach nie wieder auftauchte. „Deine Kleine ist oberflächlich!“, schimpfte sie. „Es ist ihr einfach egal.“ Ich schüttelte unglücklich den Kopf, Franziska war nicht oberflächlich, wenn ihr auch Kleidung vielleicht nicht so besonders wichtig war, aber hier lag ein schlimmer Fall von Selbstboykott vor. „Ich kann mir nichts merken“, klagte sie. „Ich bin eben so vergesslich, da kann man gar nichts machen.“

In der Adventszeit verlockte ich sie dazu, die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel, Lutherübersetzung, die bei uns am Heiligen Abend vorgetragen wird, auswendig zu lernen. Innerhalb weniger Stunden konnte sie den schwierigen Text auswendig, den sie mühelos und fehlerfrei am Heiligen Abend vortrug und damit viel Ehre einlegte. Jetzt hatte ich sie: „Franziska, vielleicht ist dir dein Turnbeutel egal, aber vergesslich bist du nicht, sonst hättest du dir nicht die ganze Weihnachtsgeschichte merken können.“ „Ja, das stimmt“, meinte sie verdattert und ich wusste, dass ab jetzt ihre Vergesslichkeit deutlich nachlassen würde, weil sie selbst nicht mehr daran glaubte.

Genauso ist es mit dem Dank: Wenn wir uns bedanken, machen wir uns selbst klar, dass wir etwas Gutes bekommen haben: Ein Kompliment, eine Auskunft oder ein Geschenk. Sich bedanken ist natürlich für den menschlichen Umgang untereinander entscheidend wichtig, weil man nämlich, wie ich es den Kindern erklärt habe, nichts mehr kriegt, wenn man sich nicht richtig bedankt. Der Dank ist die Münze, mit der man zahlt, vor allem für alle lebensnotwendigen, aber unverkäuflichen Dinge wie Liebe, Güte, Hilfsbereitschaft und im Leben aller gläubigen Menschen nimmt der Dank an Gott, nicht aus Zufall, eine wichtige Rolle ein.

Wir haben alle so viel Gutes, aber sind wir auch dankbar dafür oder richten wir unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf das, von dem wir meinen, es fehlt uns?

Darum ist es vor allen für uns selbst wichtig, sich zu bedanken.

Wenn in mir der Unmut über die viele Bügelwäsche hochkommt, hilft es mir im Geiste aufzuzählen, was ich von meinem Mann allein im letzten Jahr alles geschenkt bekommen habe. Diese Erinnerung hilft der Wäsche mehr als Sprühstärke und der Laune mehr als Wellness.

Ich habe auch beobachtet, dass z. B. Jugendliche, die meinen, sich die „Danke“-Floskel einfach sparen zu können, vor allem durch Unzufriedenheit auffallen. Ein schwarzer Undank, der alles Gute frech für selbstverständlich hält, ist wie nichts anderes geeignet einem das schönste Glück und die größten Reichtümer abzuwerten und zu vergällen, wohingegen ein ehrlicher Dank ein paar Gänseblümchen so verzaubert, dass auch ein Strauß kostbarer Treibhauslilien nicht dagegen ankommt.

Deswegen müssen wir das Wort „Danke“ in Ehren halten, auch wenn es uns manchmal ganz unbewusst über die Lippen kommt und auch die Kinder dazu erziehen, sich zu bedanken.

Im Sommer vor zehn Jahren gab ich einem unserer Freundeskinder ein Eis, das es ohne Dank entgegennahm. „Danke, sagt man!“, meinte ich. Die Kleine betrachtete mich zweifelnd. „Warum?“, fragte sie nörgelnd „sagst du das immer?“
„Na, dann nicht!“ Ich nahm ihr entschieden das Eis wieder weg. „He!“, rief sie. „Na – gut: Danke! Danke! Danke!“ „Bitte sehr!“ Ich gab ihr das Eis zurück. „Lass es dir schmecken.“

Das tat es, konnte man sehen. Mehr als vorher.

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