Telefonkonferenz

Mitteleuropäische Zeit, Puschendorf, 14.00 Uhr:

„Franziska!“, rufe ich hinunter. „Hast Du mal einen Moment Zeit?“ – „Ich telefoniere!“
Dass ein Mensch nicht während des Telefonierens gestört werden will, ist einzusehen.
15.00 Uhr: „Franziska!“ – „Telefoniere!“
16.00 Uhr: „Franziska!“ – „Mama, Ich habe Dir doch gesagt, dass ich …“ – „Sag mal, wer ist denn da am Telefon?!“ – „Jenny!“

Jenny wohnt – konservative Schätzung – 300 Meter entfernt. Sogar wenn Franziska gehbehindert wäre, könnte sie unmöglich mehr als drei Minuten für diesen Weg brauchen. Sie ist nicht gehbehindert.

„Warum gehst Du nicht zu ihr?“ – „Ich muss Hausaufgaben machen! Ich wollte die Jenny nur schnell was fragen. Ich hab doch keine ZEIT!“
Ach so.

Ein Telefon kann Leben retten. Es gibt aber auch Telefongespräche, die können Leben verkürzen, so kommt es einem zumindest vor. Schon bei den allerersten Worten, der Namensnennung, fängt es an. „Miep- Miep!“, meldete sich eines unserer Freundeskinder noch vor kurzem am Telefon, offenbar wild entschlossen, sich ausschließlich mit Lauten zu verständigen, die denen einer verängstigten Maus ähneln. Die Meisten melden sich mit einem gelangweilten „Ja?“, oder wie eine meiner Nichten mit „Nee, es is keiner da!“. Manche benutzen wenigstens den Nachnamen. Aber einem Kind beizubringen, dass es sich mit Vor- und Nachnamen melden soll, scheint eine besondere Leistung zu sein. So lässt sich die wahre Identität des Gesprächspartners oft erst durch hartnäckiges Nachfragen herausfinden – wenn man nicht verkohlt wird, heißt das. Sonst glaubt die Oma, dass sie mit der Mama redet, während sie in Wirklichkeit seit zehn Minuten mit der Enkelin telefoniert, die sich mit ihren parodistischen Fähigkeiten einen Jux auf Kosten von Mama und Oma gleichzeitig macht. An den extremen Enden der Menschheit tauchen auf der Telefonskala zwei Typen auf:
Die Maulfaulen und die Schwafelheiner.

Die Maulfaulen lassen sich nur sehr ungern ein paar Worte entlocken, gerade so, als würde jedes Wort einen Euro kosten. Angestrengt versuchen sie das Gespräch mit etwa fünf Worten zu bewältigen:
„Hä?“ – „Wieso?“ – „Mal sehen…“ – „Weiß nich…“ – „Bis denn…“
Oft hört man im Hintergrund Tastaturengeklapper, die Wise Guys, einlaufendes Badewasser und das Geknatter von Chipstüten.

Der typische Schwafelheiner dagegen fällt telefonisch nicht nur mit der Tür, sondern gleich mit der ganzen Wand ins Haus:
„…Endlich erwisch ich Dich, ich hab´s schon 100 Mal probiert, gestern oder vorgestern habe ich unentwegt bei Dir angerufen oder war das bei Mechthild? Na, ist ja auch egal! Wer kann sich das schon alles merken?! Das habe ich erst gestern zu Hannes gesagt, bei dem kolossalen Stress in der Arbeit … also meine Freundin, die hat doch tatsächlich ihre Hochzeit abgesagt, ist ja irre, oder? Also, warum habe ich dich jetzt eigentlich angerufen…?“

Eine gute Frage! Sehr gut! Warum rufen wir einander an?

Nicht nur, um Informationen auszutauschen, auch, um Nähe zu erleben, sich seelisch mitzuteilen, den andern aufzunehmen in seiner Freude und seinen Sorgen. Ein gutes Gespräch ist eine Kunst. Eine Kunst muss man üben und pflegen. Aber das Wissen darüber geht in unserer Zeit der inflationären Kurzinformation, wie SMS und endlose Facebook-Kontakte immer mehr verloren. Denn weder die Maulfaulen, die einen bis an die Grenze zur Unhöflichkeit abtropfen lassen, noch die Schwafelheiner, die einen überfahren und als stummes Publikum missbrauchen, bringen die Aufmerksamkeit und innere Offenheit mit, um ein wirklich gutes Gespräch zu gestalten. Wir können aber gerade auch in unseren privaten Beziehungen dem anderen die Ehre der Gegenseitigkeit erweisen und ihn ausreden lassen. Wir können ihm mit Respekt begegnen, indem wir die Hintergrundmusik ausschalten, aufhören Fisherman´s Friends zu lutschen und ihm signalisieren: „Ja! Erzähle! Ich bin bei Dir!“

Für Informationsgespräche fällt mir immer der Rat ein, den mein Vater uns für öffentliche Auftritte gegeben hat:

Tritt frisch auf!
Machs Maul auf!
Hör bald auf!

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass man die meisten halbstündigen Telefongespräche informativ auf vier Minuten kürzen könnte. Das trifft auch zu, bis auf den Randolf natürlich, der hat schließlich keine Zeit zu vertratschen.

Augenblicklich erkennt er auf dem Display seines Handys die entsprechende Nummer, und hebt ab:
„Ah, Professor Sauerbier! Ich bin gerade in einer wichtigen Besprechung. Ist es Ihnen recht, wenn ich Sie in zwei Stunden zurück rufe? Bis dann!“

Das waren sieben Sekunden. Na also!

 

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Telefonkonferenz - Glosse von Ruth Hanke
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