Sternstunden des Snooker
Ich weiß nicht, wie ich ausgerechnet zu diesem Kanal kam, aber plötzlich war das Bild da: Eine weiße Kugel raste blitzschnell auf einen Pulk roter Kugeln zu, sprengte sie auseinander und danach sah alles anders aus, als wären die Gestirne neu geordnet worden. Der schwarzgekleidete Mann mit dem Holzstab in der Hand fegte wie ein tanzender Derwisch um den großen, mit grünem Tuch bezogenen Tisch und versenkte eine nach der anderen von den roten Kugeln, dazwischen immer abwechselnd eine schwarze, in die Eck- und Mitteltaschen. Fasziniert starrte ich in den Fernseher. Die Vollkommenheit der runden Kugeln hatte etwas sehr Ästhetisches, die Vielgestaltigkeit der Positionen, die aber doch einer geheimen Ordnung folgten, wirkte auf mich beinahe mystisch.
Gebannt folgte ich dem großen Zauberer bei seinem kunstvollen Spiel. Ronnie O´Sullivan war sein Name. Natürlich, werden die Snooker-Fans jetzt sagen, ist es kein Wunder von Ronnie fasziniert zu sein, Ronnie, the one and only, Ronnie, the rocket! Damals spürte ich sofort die besondere Energie, die von ihm ausging, es ergriff einen unmittelbar, denn nicht nur er verzauberte das Spiel, das Spiel hatte auch ihn verzaubert. Man sah es an der Art, wie er atmete, wie er die Bälle anvisierte, an der schieren Überfülle seiner Ideen, an der artistischen Präzision seines Lochspiels, er gab in den Stoß seine ganze Kunstfertigkeit, Raffinesse und Kraft und jedes Mal, wenn er sich aufrichtete, schien ihm genau diese Kraft wieder zuzuwachsen.
Schwer beeindruckt erzählte ich dem Randolf davon und er meinte: „Ja, da gibt’s in Fürth einen Billard- und Snookersalon, da können wir schon mal hinfahren.“ In natura sah der Snookertisch viel größer als im Fernsehen aus und die Kugeln sehr viel kleiner, eigentlich hatten sie nur die Größe von gutgebauten Schussern, wie man da etwas treffen sollte, war mir schleierhaft und das ist es immer noch. Also fing ich mit Billard an. Die Voraussetzungen, eine ruhige Hand und ein gutes Augenmaß, brachte ich mit, aber der Randolf, der seine gesamte Jugend und Kindheit mit Billard und Kicker und ähnlichem verbracht hatte, war mir trotzdem weit voraus. Er konnte gut erklären und mir einiges beibringen, bald waren wir Stammgäste dort und trafen andere Snookerfreaks, zum Beispiel die drei Brüder Schornstein (Name geändert), die sehr gut waren. Dass Snooker und auch Billard eine Kopfsache ist, erkannte ich an einem Abend, als der Randolf mit Sebastian Schornstein Snooker spielen wollte und Joe Schornstein mich – allen Ernstes! – zum Billard aufforderte. Joe war mittelgroß, schlank, leise und der beste Spieler, der dort verkehrte.
Mir rutschte das Herz in die Hosentaschen, eigentlich noch tiefer und ich wehrte ab, aber er grinste nur freundlich: „Ach, komm schon, ein paar Spielchen“ Was, ein paar gleich? Aber er baute schon die Kugeln auf, hektisch erkannte ich, dass wir von dem Besitzer des Billard-Cafés fachmännisch betrachtet wurden. Joe stieß an, ich versenkte aus dem blanken Zufall den ersten Ball und wusste danach nicht mehr, was ich machen sollte. „Nimm doch den“, schlug er vor. „Was, den? So nahe an der Bande, der geht ja nie rein!“ „Doch, doch, schön ruhig von der Seite her anschneiden!“, meinte er und zeigte mir den Winkel mit der Hand. Mir blieb nichts anderes übrig, als es zu versuchen und es klappte! Ich war völlig baff! Ich versenkte an diesem Abend fast jeden Ball, sogar zwei Doubles gelangen mir, ich gewann 4:1. Ich bin zwar sicher, dass Joe mir gegenüber nicht die volle Matchhärte ausgepackt hat, aber darum ging es ja nicht. Ich erlebte in seiner ursprünglichsten Form, was mir alles möglich ist, dass es ein unmöglich vielleicht gar nicht gibt. Ich schwebte eineinhalb Meter über dem Erdboden, als wir in dieser pechschwarzen Nacht endlich aufbrachen. Dieses Spiel hat die Macht, einen in einen euphorischen Rauschzustand zu versetzen, einem ein neues Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln und einem die Vorurteile über sich selbst gründlich aufzubrechen.
Snooker und Billard sind nur eine Möglichkeit, sich selbst neu zu erleben, aber sie funktioniert. Ich habe es getestet. Ronnie O´Sullivan sei Dank. Und Joe Schornstein.
Sternstunden des Snooker