Schneeglöckchen
Es lag noch Schnee und ein ungemütlicher Wind sauste um alle Ecken. Ich dachte an meine Kinder, von denen zwei in Berlin wohnen und überlegte, dass wir uns im letzten Jahr nur wenige Male gesehen hatten. Seufzend zog ich die Jacke enger um mich, um die Post aus dem Briefkasten zu holen, da fiel mein Blick auf drei tapfere Blümchen, die sich hoffnungsvoll der hervorblitzenden Sonne entgegenstreckten. „Die ersten Schneeglöckchen!“, freute ich mich. „Jetzt wird’s bald Frühling!“
Später saß ich an diesem ganz normalen Tag mit einer Bekannten im Wohnzimmer, als ein großer Blumenstrauß geliefert wurde, flankiert von einer Schachtel Pralinen und einem kleinen Deko-Pokal, auf dem: „Beste Mama der Welt“ stand. „Heute ist doch gar nicht Muttertag!“, meinte meine Bekannte. „Oder hast du Geburtstag? Hab ich was vergessen?“ Ich erzählte ihr, dass mein Sohn Daniel für seine Geschenke gerne unübliche Zeitpunkte wählte, um den Überraschungseffekt auch voll auszunutzen. Und obwohl ich an diesem Tag nicht Geburtstag hatte, fühlte ich mich ein bisschen so. Plötzlich grübelte ich auch nicht mehr darüber nach, warum Berlin so weit weg war.
Manchmal ist gar nicht viel nötig ist, damit das halbleere Glas auf einmal doch mindestens halbvoll ist. Schon Anfang Januar werden die ersten bunten Tulpen angeboten und sind immer sofort ausverkauft, weil sie in den vom Weihnachtsschmuck leergeräumten Wohnungen ein Symbol für den heiß ersehnten Frühling darstellen. Ich kaufe mir ein paar! Noch besser: Ich kaufe ein paar mehr und verschenke ein Sträußchen an die Nachbarin! Vielleicht krieg ich auch selbst welche geschenkt – von meinem Mann zum Beispiel. Aber ob es jetzt gekaufte, geschenkte oder geschenkt bekommene Blumen sind: Die Vorfreude auf den Frühling zeigt das Licht einer nach vorne gerichteten Hoffnung wie die Schneeglöckchen, einer Hoffnung, die jeden trüben Tag erhellt, wie ein altes Sprichwort sagt:
„Vorfreude ist die schönste Freude!“
Schneeglöckchen