Party im Bus
Er war alt. Richtig alt. Mindestens neunzig Jahre alt, sah aber aus wie hundert. Er stand so wacklig im Bus, dass ich Angst hatte, er würde bei der nächsten Kurve umfallen. Mühevoll versuchte er zweier Krückstöcke und dreier Plastiktüten irgendwie Herr zu werden. Breite Hosenträger verhinderten die Hose am Herunterfallen, denn er musste sie schon einmal besser ausgefüllt haben. Grau und erloschen im Gesicht starrte er vor sich hin. Es tat mir in der Seele weh. An der nächsten Station stieg ein ähnlich altes Gerüst zu. Ich war 17 Jahre alt, erst vor kurzem wegen meiner Grafiker-Lehre nach Fürth gezogen und beobachtete fasziniert, wie plötzlich eine fassungslose Freude das Gesicht des Alten verwandelte: „Leckst mich am Arsch, der Schorsch!“, worauf der andere ebenfalls selig lächelte: „Ja, verreck! Der Gerch! Jetzt ist der ganze Tag versaut!“ Sie setzten sich auf den Fünfersitz nach hinten und feierten eine Art Party; ich kann es nicht anders nennen. Begeistert ließen sie alte Kriegserinnerungen aufleben (sie betrafen, wie ich erstaunt feststellte, den ersten Weltkrieg, den sie als blutjunge Kerle mitgemacht hatten) und tranken abwechselnd aus einem Flachmann. Als sich eine ältere Frau setzen wollte, schäumte die Stimmung über. „Wie alt simmer denn, Froillein?“ „76!“ Sie schlugen sich auf die Schenkel vor Vergnügen. „Haha! 76! Und da wollen wir schon einen Sitzplatz?!“ Sie nahmen die Frau zwischen sich und boten ihr einen Schnaps an. Was war passiert? Gar nichts, außer, dass ein älterer Mensch einen anderen zum Reden gefunden hatte. Die schönsten Gespräche hatte ich oft an der Bushaltestelle oder im Wartezimmer. Es lohnt sich auf eine tastende Bemerkung über das Wetter einzugehen, nicht nur, weil viele, ältere Menschen einsam sind und zu wenig Ansprache haben, sondern weil man selbst, egal in welchem Alter, mit so viel Weisheit, Wärme und funkelnden Erlebnissen beschenkt wird, denn, wie meine Freundin Gabi immer sagt:
„Jeder Mensch lebt von sozialen Kontakten.“
Party im Bus

Unterhaltsam