Oma-Tag
Meine Schwiegermutter wurde neunzig Jahre alt und war in jeder Hinsicht ein steiler Zacken. Ihre unbändige Unternehmungslust teilte sie mit acht Enkelkindern, die schwer zu tun hatten, ihr auf den vielen Radtouren, Schwimmbadbesuchen und Schuheinkäufen hinterher zu kommen. „Sie will uns dabei haben, dass sie einen Grund hat, auf den Spielplatz zu dürfen.“(Franziska) Ihre Wohnung war so etwas wie ein Paradies für Kinder, wo ihnen zum Fernsehen warmer Kakao und Schinkenbrote gebracht wurden. Als junge Mutter fand ich es etwas bedenklich, wenn die Schwiegermutter sogar den Gurkensalat zuckerte und wir versuchten, bestimmte Regeln aufzustellen, denn wir wollten ja nicht, dass das Kind verwirrt wurde, wenn es bei der Oma fast alles durfte, was daheim verboten war. Das führte zu einem Kampf, den unser Sohn Daniel gegen uns ausfocht, der sich eindeutig auf die Seite der Oma stellte und sein Paradies inklusive gezuckertem Gurkensalat mit Zähnen und Klauen verteidigte. Zu unserem Glück hatten wir bald ein Einsehen und beschlossen, dass bei der Oma einfach andere Regeln galten. Inzwischen selber Oma sehe ich, dass das Verhältnis zwischen den Generationen umso entspannter wird, je weniger man sich gegenseitig Vorschriften macht. Dadurch bekommen die Kids „einen Punkt außerhalb der Erde“ (Archimedes), also ein zweites Zuhause, von dem aus sie sich neu orientieren können und so ihr erstes Zuhause wirkungsvoll ergänzt. Denn die Kinder haben ja ein Recht auf ihre Oma, auch wenn die Mama und die Oma nicht immer einer Meinung sind. Zu ihrem 85. Geburtstag hatte der Dany alle acht, schon erwachsene Enkelkinder in die kleine Wohnung der Oma eingeladen, um sie unter den Tisch zu trinken. Ergebnis? Die Schwiegermutter hat alle unter den Tisch getrunken und dort übernachten lassen, auf dem Teppich, in Sesseln, Sofas, neben ihr im Ehebett. Bei uns dagegen wollen die Kinder immer tolle Gästebetten.
Für jeden eins. Da hätte meine Schwiegermutter bloß gelacht.
Jetzt haben die Kinder den Oma-Tag eingeführt, Ende Mai, wo wir dieser phantastischen Oma und 30 Jahre ihrer tätigen Hilfe gedenken; da kommen alle, die sich sonst das ganze Jahr nicht sehen, zusammen und feiern. Die kleine Charlotte kündigte mir neulich an: „Ich hab schon ein Geschenk für dich zum Oma-Tag!“ Zuerst wollte ich ihr sagen, dass es dabei nicht um mich geht, sondern um ihre verstorbene Uroma. Aber dann dachte ich: Oma ist Oma! Und wer lehnt schon ein Geschenk ab?
Oma-Tag