Menschen im Krankenhaus
Das zweite Knie musste bei mir operiert werden, keine Frage. Man sah es nicht nur deutlich auf dem Röntgenbild; ich merkte es auch an den Schmerzen. „Ihre Frau geht auf den Felgen“, sagte Dr. Schneider zu meinem Mann, dem Randolf.
Dr. Schneider hatte schon mein erstes Knie operiert und es war wirklich sehr gut geworden. Deswegen freute ich mich, als der große, immer gutgelaunte Arzt zusagte, auch das zweite Knie zu erneuern. In der Physiotherapie hatte man mir deutlich gesagt, dass jedes Knie anders ist, ich sollte nicht selbstverständlich damit rechnen, dass es diesmal genauso gut werden würde wie beim ersten Mal. Nach den üblichen Voruntersuchungen bekam ich ein Stationszimmer in der Chirurgie mit Aussicht auf die herbstliche Gartenanlage. Zum Glück musste meine OP nicht verschoben werden und als ich im Aufwachraum erwachte, sah ich in die braunen Augen einer Frau, die sich sehr um meine Atmung kümmerte, mich immer wieder ermutigte fest und tief zu atmen, mir mehrmals Getränke holte und mir Sauerstoff anbot. Mit einem Kollegen besprach sie in kurzen Abständen medizinische Details und ich fühlte beruhigt, dass ich in guten Händen war. In dieser Nacht erschienen immer wieder Schwestern und Pfleger, alle äußerst bestrebt, mich richtig zu betten und mir die Schmerzen zu erleichtern. Ein junger Auszubildender hielt sogar meine Hand, damit die Infusion richtig einfließen konnte. Und auch Dr. Schneider tauchte auf wie eine Erscheinung aus meinem Traum, der sagte, die Operation sei gut geworden, so gut wie letztes Mal. Mir war, als ob er noch etwas sagen wollte, sagte es aber nicht, erst als er schon in der Tür stand, fügte er ein: „Oder besser“ hinzu und war draußen. Ich überlegte lange, ob ich das geträumt hatte. Vor allem, weil ich Dr. Schneider, der mit operieren beschäftigt war, erstmal nicht mehr sah, dafür aber den neuen Chefarzt der Chirurgie, Dr. Lechler. Aus dem Internet wusste ich, dass er so alt wie mein Sohn Daniel war. Er hatte aber keine Ähnlichkeit mit Dany, auch mit sonst niemandem, den ich vorher gesehen hatte. Er war, wenn er hereinkam, dermaßen auf den Patienten und sein Wohl konzentriert, dass ich es lange nicht schaffte, seine Wirkung des unbedingten Heilen- und Helfen-wollens von seinem Aussehen zu trennen. Ich sehe immer noch seine Augen vor mir, die anteilnehmend und konzentriert waren, groß wie graue Teiche. Es gibt Gesichter, die verlangen irgendwie nach einer Schiebermütze, andere nach einem Zylinder. Manche Menschen stellt man sich automatisch in einer Arbeitslatzhose, andere mit Strohhut und Gießkanne vor. Es waren vielleicht die Wirkungen der Opiate, aber ich fand, Dr. Lechlers hagere Gestalt verlangte irgendwie nach 2 Flügeln als Ergänzung. Schon längst wieder zuhause stehe ich immer noch unter dem Einfluss von großem Glück und Dankbarkeit, dass sich so viele gute Menschen kompetent und liebevoll um mich gekümmert haben, in einer Situation, als ich ganz auf sie angewiesen war.
Dass alle Menschen solche Hilfe bekommen, wenn sie sie brauchen, das wünsche ich mir.
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