Licht und Schatten
Eine investigative, unabhängige Analyse zur Stellung des Besens in der Gesellschaft.
Festvortrag anlässlich der DACH-Tagung der Gesellschaft für maximale Reinheit zum 125. Gründungstag
Sehr geehrte Damen und Herren!
Zuerst begrüßen möchte ich sehr herzlich den langjährigen Förderer unserer Gesellschaft, Dr. Dr. Theophilus Hampelmann, auch bekannt durch die Hampelmann-Patente von der Firma Schrubwut AG, sowie Konsul Ignazios von Weyden-Weirich von der Firma Pringel und Blitz, außerdem die Vertreter der Waschmittelhersteller und die Aufsichtsratsvorsitzenden der Bürstenmanufakturen sowie die Schwamm- und Bodentuchfabrikanten, herzlich willkommen.
Die Ausbreitung des Besens in allen Gesellschaftsschichten hat seit dem 17. Jahrhundert in unserem Lande, ja, ich darf sagen europaweit, wenn nicht sogar weltweit immer mehr zugenommen. Nahezu jeder Haushalt hat hier nicht nur einen Besen, nein, zwei, drei oder vier Besen! Der Trend geht eindeutig dahin, sich für jede Aufgabe einen Spezialbesen anzuschaffen, z. B. einen Besen für ebene Flächen im Haus, den klassischen Küchen- oder Kehrbesen, einen Besen, mit dem man mittels feuchtem Tuch Fliesen reinigen kann, den üblichen Putzschrubber, einen kleinen Handbesen mit Schaufel und einen großen Besen mit harten, langen Borsten für Straße und Terrasse.
Manche Besenformen, die vom Zeitalter des Rokoko bis in die jüngste Vergangenheit beliebt waren, sind inzwischen leider wieder aus der Mode gekommen, z. B. der damals verbreitete Tischbesen, der in der vergoldeten Ausführung mit Perlmutteinlage ein beliebtes Hochzeitsgeschenk war.
Der stille Siegeszug des Besens erstreckt sich tatsächlich über alle Bereiche. In meinen Nachforschungen habe ich keine einzige Behörde ohne Besen gefunden; selbst der Verfassungsschutz, wo die Reißwölfe sinnlos und offenbar selbsttätig Akten zerschreddern, wo Beweise verlorengehen und Biografien zerschellen, verfügt über fünf funktionierende Besen. Vor einiger Zeit hat dort ein Kehraus an Leitern und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes stattgefunden, so dass die beiden dienstältesten Besen die letzten vier Leiter überlebt haben und ich bin nicht bereit zu beschwören, dass die chronisch gerechtigkeitsfanatischen Besen dabei nicht ihre Hand bzw. Ihre Borsten im Spiel hatten. Es gibt keine Schule, kein Krankenhaus, keine Bäckerei, kein Rathaus, kein Internet-Café und keinen Spotverein ohne Besen!
Sogar bei der Mega-Fahrradtour, der Tour de France wird auf dem letzten Wagen, dem sogenannten Besenwagen, der am Schluss die Gestürzten und Geschlagenen einsammelt, ein Besen mitgeführt. Einerseits, um eventuelle Scherben aufzukehren, andererseits als weit sichtbares Symbol dafür, dass Sauberkeit im Radsport das letzte Wort hat.
Auch zwischenmenschlich ist ein Besen unverzichtbar. Wenn man sich mit einem karierten Kopftuch und einem Besen in der Hand vor die Tür stellt, lächeln einem alle Nachbarn zu und bleiben immer gern zu einem kleinen Schwätzchen stehen.
Dazu sorgt der Besen für Nachhaltigkeit: Er verbraucht keinen Strom und kein Benzin, sondert kein CO2-Gas ab und besteht im Allgemeinen aus abbaubarem Holz, er sorgt für Bewegung und leichtes Training, das kaum einem in dieser vollautomatisierten Zeit wirklich schadet. Bewegung und Eigen-Initiative stärken das Selbstbewusstsein. Außerdem ist man mit einem Besen nie hilflos. Erst kürzlich hat eine Hausfrau mit einem ganz normalem Besen einen Einbrecher in die Flucht geschlagen und ein Mann, der den Gehsteig kehrte, konnte sich durch den Besen mittels einer Art Stabhochsprung vor einem bissigen Hund über die rettende Gartenmauer in Sicherheit bringen.
Eine Hexe, die auf sich hält, benützt einen Besen als Fortbewegungsmittel. Ich bin sicher, auch Sie haben noch nie eine Hexe bei Vollmond auf einem Staubsauger durch die Nacht reiten sehen. Denn wenn das Kabel mit dem Stecker im Fahrtwind flattern würde, wie sähe denn das aus?! Eine Hexe ist doch keine Putzfrau. Die Hexen, die sich elegant im Grenzbereich zwischen Wissenschaft und Mystik bewegen, wissen – oft im Gegensatz zu uns – was sie an ihrem Besen haben. Sie geben ihren Besen Namen, die Kind-Hexe Bibi Blocksberg z. B. nennt ihren Besen „Kartoffelbrei“ und natürlich spricht sie mit ihm.
Sprechen Sie mit Ihrem Besen? Nein? Warum nicht?
Es muss hier einmal deutlich gesagt werden, dass es ein entsprechendes Licht oder vielmehr einen entsprechenden Schatten auf unsere Gesellschaft wirft, wie hier in unangebrachter Weise mit dem Besen umgegangen wird.
In den über tausend Tiefeninterviews, die ich mit Besen jeden Alters und jeder Ausführung geführt habe, habe ich festgestellt, dass ein Besen ganz ungeheuer viel mehr weiß als uns bewusst ist und dass sein Rat in allen Haushaltssorgen, Liebesgeschichten, Finanzdingen und Familienangelegenheiten Gold wert ist. Deshalb ist es bedauerlich, dass der Besen in unserer Gesellschaft nicht die Anerkennung erfährt, die er verdient. Ein Besen hat bei einem guten und unbeugsamen Charakter einzig die Absicht für Ordnung, Klarheit, Reinheit und Sauberkeit zu sorgen, eine Einstellung, von der sich mancher Besitzer eines Besens mehr als nur eine Scheibe abschneiden könnte. Die Redewendung vom „Unter-den-Teppich-kehren“ ist daher nicht auf einen Besen anwendbar, ein richtiger Besen würde so etwas niemals tun.
Es ist ebenfalls verfehlt, in einer diskriminierenden Weise ein zänkisches Frauenzimmer als „Besen“ zu bezeichnen: Es gibt tatsächlich ein Lied, das so anfängt: „Meine Schwester ist ein Besen, so wie alle Schwestern sind …“ Ist es denn zu fassen? Ein Besen ist nicht zänkisch, sondern ein Vorbild an Bescheidenheit und gutwilligem Fleiß, jederzeit zur Zusammenarbeit bereit.
Ich kann und will hier nicht alle Ansichten von Besen wiedergeben, die ich in den letzten Jahren der Besenforschung erlebt habe. Ich möchte nur noch zum Schluss auf die wahren Heldentaten eines Besens hinweisen, der bei der japanischen Mafia-Organisation „Triangel“ arbeitet und der jeden Tag die Machenschaften dieser Schurken aufs überraschendste durchkehrt … pardon, durchkreuzt. Er wird kämpfen und kehren bis zum Schluss, hat er mir anvertraut. Er sagte: „Es gibt nur einen Feind – und das ist der Dreck!“
Meine Damen und Herren, dem Besen gebührt unser Respekt und unsere Anerkennung, unser Vertrauen und unsere Unterstützung!
Seien Sie gut zu Ihrem Besen, dann ist er gut zu Ihnen!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Guten Abend!
„Sprechen Sie mit Ihrem Besen? Warum nicht?“
So tiefsinnig wie diese Frage ist der ganze herzerfrischende Artikel. Mich macht er darauf aufmerksam, den kleinen, unscheinbaren, weil ach so normalen Dingen des Alltags mit neuer Sicht zu begegnen, und – nicht nur für den Besen – sondern für so viele freundliche Helfer seinesgleichen – dankbar zu sein.