Heiterkeit: Japanisch und Deutsch
Mein Sohn Daniel, ein stolzer Wahl-Berliner und ich fuhren auf einem Touristenschiff auf der Spree. Rechts und links von uns zogen in diesem warmen Herbst die Ufer mit den alten Villen und bunten Bäumen vorbei. Auf dem Schiff selbst ging es weniger idyllisch zu: Neben uns hatte an Deck eine schlechtgelaunte Schulklasse Platz genommen, die damit beschäftigt war, ihren Nebenmann anzupflaumen, auf ihre Smartphones einzuhacken und ihre bedauernswerte Lehrerin zu ignorieren, die die Herrschaften davon abhalten wollte, ihre Beine in den Gang zu strecken, um andere Passagiere darüber stolpern zu lassen. Den landschaftlichen und architektonischen Schönheiten gönnten diese Jugendlichen keinen Blick, sie bewarfen die Enten mit Abfall, langweilten sich lautstark und die Stimmung wurde immer schlechter.
Aber als sich die Lehrerin vor der Klasse aufstellte, um sie zu fotografieren, legten plötzlich alle die Arme umeinander und verzogen den Mund zu einem breiten Grinsen: „CHEEEESE!“
Danach kehrte umgehend wieder die miserable Laune zurück.
Vor uns saßen zwei Japaner, ein älterer und ein jüngerer, der ältere offenbar der Chef, denn er saß auf einem Zweier-Sitz vor dem Jungen, aber sie unterhielten sich dauernd, engagiert und lustig. Besonders der jüngere nahm lebhaft Anteil an allem, was er sah, und kriegte sich vor Begeisterung fast nicht ein. Der ältere war etwas ruhiger, aber heiter und wohlwollend. Vor der Weidendammer Brücke setzte er sich in Position, guckte todernst und wurde so von dem Jungen fotografiert, einen Moment später setzte auch der Junge ein Gesicht auf, als ob er zu seiner eigenen Beerdigung ginge, wurde geknipst – und sofort danach brach die alte Heiterkeit wieder aus ihm heraus.
„Der junge Japaner“, meinte der Daniel „war nur einmal ernst, als er fotografiert wurde und die Deutschen …“ er streifte sie mit einem indifferenten Blick, der bei ihm äußerste Missbilligung ausdrückte „haben nur einmal gelacht: Beim fotografiert werden. Jetzt frag mich du, was besser ist.“
Komisch, oder? Warum war denn die deutsche Schulklasse so schlecht drauf, wo doch alle Bedingungen da waren, das Leben so richtig zu genießen? Vielleicht ist das totale Fehlen der Disziplin für den Menschen selbst gar nicht so angenehm. Vielleicht hätten sie, wenn sie einen Lehrer gehabt hätten, der von ihnen mehr verlangt hätte: Mehr Aufmerksamkeit, ein besseres Benehmen, den ganzen Ausflug mehr genossen. Denn so sind sie einfach aus ihrer sozialen Form gegangen, ungut zerlaufen wie ein Pudding ohne Plastikbecher und weder sie selbst noch irgendein anderer hatte die geringste Freude an ihnen.
Wir haben in unserem Land oft noch Angst von den Kindern zu viel Respekt, Unterordnung und Gehorsam zu verlangen und das Wort Disziplin hören wir nicht gerne, aber wir tun ihnen nichts Gutes, wenn wir die Dinge einfach laufen lassen, nicht nur deswegen, weil man, wenn man nicht lernt, die Kräfte zu bündeln, gar nichts erreicht. Sondern auch, weil es den Kindern selbst auch gar nicht gefällt, wenn sie dauerhaft ihren Launen überlassen werden.
Ein Kind in einem antiautoritären Kindergarten hat es einmal anschaulich ausgedrückt: „Dürfen wir heute mal machen, was wir sollen oder müssen wir heute schon wieder spielen, was wir wollen?“