Flieg, Luftballon, flieg!

Ganz, ganz früher, erinnere ich mich, gab es auch auf der Kirchweih Luftballons zu kaufen, die nicht mit Helium gefüllt waren; man musste sie hinter sich herziehen und damit zufrieden sein. Aber dann kamen die Helium-Luftballons auf und der klassische Luftballon bekam gewaltigen Auftrieb.

Als siebenjähriges Kind war so ein selbstfliegender Luftballon für mich die große Sensation, wenn er auch sonst nicht so sehr groß war und einfarbig blau, grün oder rot aussah. Er war offenbar auch teurer als ein normaler Ballon, ich wusste nicht wieviel, mein Opa bezahlte, aber ich erkannte es an der Nachhaltigkeit, mit der mir eingeschärft wurde: „Jetzt musst Du ihn aber auch immer schön festhalten, damit er nicht davonfliegt, ja?“ Ich bemühte mich ernsthaft darum, denn ich fühlte, dass so ein Luftballon, der mich, selbst schon fast vom Himmel aus begleitete, mir eine besondere Würde und Sichtbarkeit verlieh. Aber leider, als ich die gebrannten Mandeln von einer Hand in die andere wechseln wollte, entkam mir unversehens der Luftballon und noch ehe ich rechtzeitig reagieren konnte, entschwebte er in unerreichbare Höhen. „Mein Ballon!“, alarmierte ich meinem Opa. „Halt ihn fest!“ Aber auch mein Opa kriegte ihn nicht mehr zu fassen. „Hab ich dir nicht gesagt, dass du aufpassen sollst?!“, schimpfte er und weigerte sich, mir einen zweiten Luftballon zu kaufen. Solche Dramen gab es damals auf der Kirchweih nicht wenige.

Eine Generation später hatten die Luftballons gewaltig an Größe zugelegt und kamen jetzt als Einhorn, Papagei, sogar als Motorradfahrer und Riesenherz daher; auch der Preis war in die Höhe gegangen. Um den aufstrebenden Ballon zu sichern, versuchte ich die Schnur um den Ärmel der kleinen Susi zu binden, der das aber nicht gefiel, sie wollte ihn lieber in der Hand halten, mit dem Ergebnis … siehe oben.

Ein Jahr später reagierten die Hersteller auf die anhaltende Misere. Als die Susi acht Jahre alt war, gab es den Luftballon mit einem kleinen Kunststoffgewicht, das ihn am Davonfliegen hinderte. Die kleine Susi hatte das Gewicht in der Jackentasche offenbar vergessen, denn sie lies die Schnur plötzlich los und rief: „Großvater, mein Ballon fliegt weg!“ „Macht nichts, Spatz“, erwiderte mein Vater. „Es ist ein Gewicht dran.“ Meine Kleine guckte verdrossen und ich ertappte sie dabei, dass sie versuchte, das Gewicht loszubinden.

Aber schon wenig später wurden die Luftballons wieder ohne diese Kindersicherung verkauft. „Wieso gibt’s keine Gewichte mehr?“, fragte ich den Verkäufer. „Wollen Sie mehr Ballons verkaufen?“

Er lachte und schüttelte den Kopf. „Nein. Ob Sie es glauben oder nicht: Es kam nicht gut an. Scheinbar macht die Verlustgefahr erst den Reiz aus – oder die Kids möchten ihre Eltern ärgern. Es ist halt so:
No risk – no fun!“

 

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Flieg, Luftballon, flieg! - Glosse von Ruth Hanke
Glossen von Ruth HankeFlieg, Luftballon, flieg!

  • Michaela

    Eine komplett neue Sichtweise wird hier eröffnet – so, könnten sich die vielen „freigelassenen“ Luftballon erklären und bei den Luftballon mag es durchaus stimmen: „No risk – no fun“ – beim Lesen Deiner Geschichte gibt es großes „fun“ – VIELEN DANK für deine schönen, mal lehrreichen, mal zu gedanken- oft aber zum schmunzelnanregende Geschichten und Gedichte.

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