Fieberphantasien

Im Fernsehen war ausdrücklich davor gewarnt worden und jetzt hatte ich mir diese elende Grippe eingefangen, das war mir klar. Meine Stirn fühlte sich brennend heiß an, der Hals brannte, der Nacken tat weh und in den Ohren rauschte es. In einem Anfall von Schüttelfrost schlugen meine Zähne aufeinander. „Hast du schon Fieber gemessen, Ruthl?“, fragte mich mein Vater, den meine Mutter, die einkaufen wollte, bei uns zum Kaffeetrinken hergebracht hatte. „ Geht nicht! Das Fieberthermometer ist verschwunden!“, brachte ich hervor. Er sah mich alarmiert an. „Ich gehe jetzt eins kaufen!“, verkündigte er. „Aber nicht bei diesem Wetter!“, widersprach ich, denn ein eisiges Schneetreiben heulte vor den Fenstern. „Und du hast kein Auto.“ „Egal!“ Mit Mantel, Käppi und Regenschirm bewaffnet, marschierte er in die einsetzende Dunkelheit hinaus zur nächsten Apotheke, die zu Fuß eine halbe Stunde entfernt war. Kopf – und Gliederschmerzen hatten mich bereits aufs Sofa geworfen, als er mit dem Fieberthermometer zurückkam. Ergebnis: Drei mal 36,8 C°. Komisch! Ich lutschte einen Hustenbonbon, den mein Vater in der Apotheke gratis bekommen hatte und die Halsschmerzen waren plötzlich auch schon besser. „Das war aber knapp!“, behauptete mein Vater. „Wenn wir keinen Fiebermesser gehabt hätten, hättest du tatsächlich Fieber entwickelt, du warst schon kurz davor. Wie kommst du überhaupt auf Grippe?“ „Ach, im Fernsehen war ein Bericht über die Grippewelle.“ „Fernsehen!“, empörte er sich. „Überleg dir nächstes Mal bitteschön vorher, was du dir anschaust und verschlampere nicht wieder das Fieberthermometer.“ Ein sehr guter Rat. Ich habe seither ein vorsichtiges Misstrauen meinen eigenen Symptomen gegenüber und verschiedene Messgeräte, die einen gegebenenfalls auf den Boden der Tatsachen zurückbringen.

Der Boden der Tatsachen kann auch gerade für diejenigen hilfreich sein, die schon fast mit dem Kopf unter dem Arm daherkommen und immer noch so tun, als ob eine ausgewachsene Grippe eigentlich nur ein dummer Witz wäre; ich kenne da so jemanden. Auch hier zeigt ein objektives Messgerät, dass man sich bei Fieber spätestens jetzt ins Bett legen sollte. Dann hilft Wärme, ein lieber Mensch, der einem Tee kocht, vielleicht etwas Wirkungsvolles gegen die Schmerzen und vor allem: Zuversicht! Schließlich steht der Frühling vor der Tür, der mit den warmen Sonnenstrahlen die Winterkrankheiten verscheucht. Es kann einfach nur besser werden.

Bleiben Sie gesund! Werden Sie gesund! Alles Gute!

 

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Fieberphantasien - Glosse von Ruth Hanke

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