Die Heilkraft des Normalen
„Können Sie diese Krankheit heilen?“, fragte ich einmal meinen früheren Hausarzt, Dr. Kleber.
„Was ist denn das für eine Idee?“, fragte er zurück. „Ein Mensch kann doch keine Krankheiten heilen, das kann nur Gott.“ Aha. Ja. Ich fragte aber trotzdem nach: „Und… äh, wozu ist dann ein Arzt da?“ „Ehrlich gesagt, um die Patienten davon abzuhalten mit unvernünftigen Überreaktionen alle Selbstheilungskräfte des Körpers zu boykottieren. Die meisten Krankheiten gehen einfach so wieder weg.“ „Heißt das, Sie machen gar nichts?“, gab ich zurück. „Meistens ja“, bestätigte er. „Und ich versuche, auch die Patienten dazu zu bewegen: Gar nichts zu machen.“ Er seufzte. „Nicht die leichteste Arbeit, kann ich Ihnen versichern!“
Ein fanatischer Anhänger dieser Heilmethode ist schon immer mein Ehemann, der Randolf, gewesen. Wenn er erkältet ist, lebt er einfach genauso weiter wie bisher. Nicht ganz: Er steigert seinen Konsum an Bratwurstweckle und er raucht auch mehr, um dem Körper das beruhigende Gefühl verstärkter Normalität zu geben, auf deren heilende Wirkung er voll vertraut. Für die anderen hat er steile Ratschläge parat, z.B. bei blutigen Knieen: „An der Luft heilt es am besten!“, gleich gefolgt von: „Sauerstoff desinfiziert!“ Für Kopfschmerzen hat er folgenden Tipp in petto: „Im Wald spazierengehen!“ oder in schlimmeren Fällen: „Ruf deine Freundin Michaela an! Dann hörst du auf, dir was einzubilden!“
Aber manchmal holt er verheißungsvoll (würde er sagen) oder drohend (würden die Kinder sagen) sein Allheilmittel aus dem Schrank: Die große Flasche Schwedenkraut, eine Tinktur aus Kräutern und hochprozentigem Korn, die furchtbar brennt und Entzündungen wegätzt, sehr strikt nur zur äußeren Anwendung zugelassen. Die Frage: „Pflaster oder Schwedenkraut?“ ist in den allermeisten Fällen rein rhetorisch, denn wer will schon nach einem Sportunfall noch dieses höllische Brennen aushalten? Und wenn die Antwort doch einmal „Schwedenkraut!“ lautet, könnte man auch gleich in die Klinik fahren. Aber eine Klinik ist für den Randolf so etwas wie ein Friedhof: Da geht er ja auch nur zu Besuch hin. Wenn sich der Rest erledigt hat. Auch die Existenz von Hausärzten haben die Kinder, einem unausgesprochenen Gesetz nach, nicht zur Kenntnis zu nehmen. Das tun sie auch nicht, bis auf Franziska, die in den letzten Jahren hier ziemlich oft eine Ärztin aufsuchte und zwar die Frau, die das geliebte Katzentier behandelte. Für sich selbst glaubt sie nicht an Spritzen, sondern an Müsli, Obst und Joggingrunden.
Ein tolles Heilmittel für alle Magen- und Darmkrankheiten weiß übrigens mein Freund Robert: Er schwört bei Bauchweh auf den Genuss von Coca Cola und Salzletten! Diese Arznei hat viele Vorteile: Man kriegt sie überall, auch nachts in einer Tankstelle, sie ist relativ preiswert und man kann sie den Freunden, die zu Besuch kommen, um einem „Gute Besserung!“ zu wünschen, gleich als Snack anbieten. Bleiben Sie gesund!
Eine ganz entzückende Anti-Hysterie-Geschichte! Sehr Mut machend!