Die Freude am Singen…

wird in der gemeinsamen Zeit im Chor am besten geweckt. Nichts macht so viel Spaß, wie wenn man die Möglichkeiten der eigenen Stimme durch eine wundersame Verstärkung durch andere Singbegeisterte im Chor erfährt. Es ist eine der schönsten Freizeitbeschäftigungen, wenn man die allerminimalsten Voraussetzungen dazu mitbringt, heißt das.

Ob ich die habe, war mir nicht immer so klar: Ich saß in der Kirche und sang: „Großer Gott, wir loben dich …“ oder ich hoffte das zumindest. Zu meiner Rechten saß mein Ehemann Randolf, der mit seinem kräftigen Tenor den Kronleuchter zum Zittern brachte, zur Linken meine Tochter Susi, deren tragfähiger Sopran sich wie eine Lerche über das Meer der Stimmen erhob und ein paar Plätze weiter, ein stimmgewaltiger Bürgermeister, der sich – wahrscheinlich unbeabsichtigt – mit dem Randolf gerade ein Wettsingen lieferte. Wenn ich statt des Kirchenliedes: „In die Hofpfisterei, da geh ich allweil nei…“ gesungen hätte, hätte weder ich selbst noch irgendein anderer Mensch den Unterschied bemerkt.

Meine Stimme war leise, ich war nicht so musikalisch und traute mich irgendwann nicht mehr richtig mitsingen, bis mich eine unserer „Nachtigallen“ in der Gemeinde aufforderte: „Sing mit! Wir sind heute nur wenige!“ „Ich kann nicht“, stotterte ich. „Ich singe falsch.“ Ich sehe noch den Ausdruck ihrer blauen Augen, als sie antwortete: „Das ist dem Herrn egal!“ Plötzlich war alles anders. Dieser Satz fiel in mich hinein wie ein Geldstück in die Parkuhr, auf einmal war alles im grünen Bereich. Wenn das dem Herrn egal war, konnte ich bei allem fröhlich mitsingen, egal ob man mich hörte oder nicht. „Du singst wieder wie als Kind“, sagte meine Mutter kurz darauf. „Hab ich da nicht falsch gesungen?“ „Nein, da hast du nie falsch gesungen, das kam erst später, als du zu viel nachgedacht hast.“

Das ist der springende Punkt: Wenn wir uns beim Singen von zwanghaftem Perfektionismus verabschieden, bekommen wir die unbefangene Freude geschenkt, die dem Gesang Frische und Spontaneität gibt, wie Paul Gerhardt sehr wohl wusste:

„Ach nimm das arme Lob auf Erden
Mein Gott in allen Gnaden hin
Im Himmel soll es besser werden
Wenn ich bei deinen Englein bin
Dann sing ich dir im höhern Chor
Viel tausend Halleluja vor.“

 

Zusammenfassung
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Die Freude am Singen - Glosse von Ruth Hanke
Die Freude am Singen

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