Der wahre Freund der Nichtraucher

Ich selbst bin Nichtraucherin. Mein Mann, der Randolf, nicht so sehr. Mit der Zuverlässigkeit einer Brieftaube erscheint er regelmäßig alle fünf Tage in Frau Hamerskys Geschäft, wo er seine extra für ihn bestellten zwei Kistchen „Minetti Brasil Zigarillos“ in Empfang nimmt.

Wenn „Don Zigarillo“ in die Arbeit kommt, hat er das erste Zigarillo bereits konsumiert, weswegen er erst einmal einen kleinen Tabakkrümel ausspucken muss, bevor er seiner Mannschaft: „Guten Morgen“ wünscht. Dies gibt seinem Gruß etwas kernig Unverwechselbares und ist schon oft erfolglos kopiert worden – einmal, weil zum überzeugenden „Chef sein“ möglicherweise mehr gehört, als Tabakspucken, und zweitens, weil die Angelegenheit mit einem zuckerfreien Kaugummi ihre Wirkung verfehlt.

Auch wenn er sich das Streichholz nicht an der Schuhsohle anzündet, umgibt ihn in solchen Momenten das Flair eines etwas schrägen Westernhelden, mit dem er auch sonst einige Ähnlichkeit hat.

Aber wir wollen hier nicht dem Fehler der Moderne erliegen und die Dinge nur an der Oberfläche betrachten. Seine Umgangsformen mögen vielleicht beliebig skurril erscheinen – innerlich ist er ein Mann des Ausgleichs, ja im Grunde steckt er so tief im sozialen Gedanken wie die Gurken im Essig.

Um eine Versöhnung zwischen Rauchern und Nichtrauchern herbeizuführen, scheut er keine Mühe. So steckt er sich zum Beispiel in einer Hotellobby öfter mal ein – unangezündetes – Zigarillo zwischen die Zähne, um die Mitmenschen an den Anblick dieses wunderbaren Genussmittels zu gewöhnen und deren Reaktion zeigt natürlich, wie notwendig das ist: Zwei eigentlich gestanden aussehende Männer halten sich hektisch Taschentücher vors Gesicht, ein weiterer krümmt sich unter schlagartig einsetzenden Asthmaanfällen, und ein vierter, mit einer Gesichtsfarbe, die ich nur als hellgrün-weiß-meliert beschreiben kann, droht in Ohnmacht zu fallen.

Und das, meint der Randolf, wäre ja nun in Wirklichkeit un¬ge-sund: Hysterie, Hypochondrie, Verweichlichung und „Pfifferigkeit im Allgemeinen“. Wobei ihm auch die wissen¬schaftlich fundierte Psychologie recht gibt, ist: Ungesund, und zwar ganz massiv, ist der soziale Unfrieden. Daher hat er in seiner Arbeit ein Vorzeigeprojekt initiiert: Mit der Zustimmung aller darf in einem der Sozialräume nach gegenseitiger Absprache geraucht werden. Diese Regelung bewirkt nicht nur, dass man miteinander ins Gespräch kommt, sondern auch, dass man lernt, Rücksicht zu nehmen, Entgegenkommen zu zeigen und aufeinander einzugehen: Schönste Voraussetzungen für gute Zusammenarbeit.

Wobei ihm das Wohl der Nichtraucher besonders am Herzen liegt. Vor kurzem hat er einen Mitarbeiter, der dachte, mit einem Raucher als Chef könnte er das Toleranzabkommen egoistisch ausnützen, fast einen Kopf kürzer gemacht. Denn Egoismus und Rechthaberei verstänkern seiner Ansicht nach erheblich mehr die Atmosphäre als es sogar eine ganze Kiste kubanischer Ofenrohrzigarren jemals zustande brächte.

Seine Aktionen zeitigen bereits erste Erfolge: Sich in der Öffentlichkeit lautstark als Nichtraucher gerierende Mitmenschen bitten ihn heimlich und leise um ein Zigarillo. Nichtraucher erklären, den Duft einer guten Pfeife ganz gern zu riechen, und wenn er an der Bratwustbude ansteht, drängen sich die zwangs-entwöhnten Nichtraucher an ihn, um wenigstens einen Atemzug des aromatischen Rauches einzufangen.

Und obwohl er pro Zigarillo funkelnde 75 Cent investiert, hat er für diese Art aktiven Passivrauchens noch nie jemandem auch nur einen mickrigen Cent abverlangt.

Er ist eben doch der wahre Freund der Nichtraucher.

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