Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf
Ich werde von dem Schlaf in die Wirklichkeit geworfen wie von einer hohen Welle der rauen Nordsee an den Strand. Der Traum endet eindeutig und abrupt – und jetzt gilt es, sich mit der Realität anzufreunden, der Welt, wie sie nun einmal ist, da hallen laut und begeistert Jubel unterlegte Rufe durch mein inneres Hören:
„Jadon Sancho!“
„Paco Alcacer!“
„Emre Can!“
Und „Dan-Axel ZAGA-DOUUUUUU!!!“ begleitet von den ergreifenden Klängen der Vereinshymne von z.B. Borussia Dortmund.
Seit Jahrzehnten, das ist jetzt die Wahrheit, wache ich morgens mit den Namen von Fußballern auf. Zugegeben, Fußball ist ein echtes Interesse von mir, ich sehe mir die Bundesliga-Zusammenfassung am Samstag auch an, wenn der Randolf nicht dabei ist – und das eine oder andere Championsleague-Spiel. Manche Mannschaften gefallen mir besser, andere nicht so sehr, aber ich bin kein spezieller Fan einer bestimmten Fußballmannschaft. Wie bekannt und unbestritten habe ich auch noch ein paar andere Interessen: Chesterton, Makeup-Technik, Snooker, Theodor Heuss und Bonsai-Bäume. Warum wache ich also nicht so auf:
„Chinesische Ulme!“
„Satsuki-Azalee!“
„Japanische Lerche!“
Und „die phantastische Ajan-Fichtäääh!“
Ich denke, es hängt mit der überzeugenden Arbeit der Stadionsprecher zusammen und der wahren Begeisterung, mit der sie die Namen der Torschützen feiern. Als ich noch ziemlich klein war und noch längst nicht lesen konnte, hat mir meine Mutter Lieder und Gedichte auf die gleiche Weise beigebracht: Sie hat den Worten einen ermutigenden, fröhlichen Klang gegeben und ich habe sie wiederholt. Wenn man den Lerninhalt mit etwas Positivem verbindet geht es ganz leicht. Das ist wohl auch der eigentliche Sinn der Schultüte: Man will, dass die Kinder mit dem Lernen etwas Schönes verbinden.
Mit 16 Jahren stand ich auf Goethe und versuchte damals meine Begeisterung mit meinem neuen Freund, dem Randolf, zu teilen: Wir lernten gemeinsam ein Stück vom „Faust“ auswendig. Obwohl ich einen großen Vorsprung hatte und mit einrechnete, dass er sich mit dem Gebiet erst vertraut machen musste, wunderte ich mich doch, wie er solche Verse vortragen konnte:
„Jetzt steh ich da, ich armer Tor
Und bin so klug als wie vorher …“ Er verstand nicht, warum ich lachte.
„ … als zuvor, muss es heißen. Das reimt sich doch sonst nicht.“ Zwei Dinge erkannte ich dabei klar und deutlich: Man hatte ihm als Kind keine Gedichte beigebracht und er interessierte sich mehr als für Gedichte: Für Motorräder. Ja, das Gedächtnis arbeitet selektiv und zum Teil unbewusst: Während viele Schüler regelmäßig ihre Hausaufgaben vergessen, wird ihnen der Termin einer Party nie entfallen; dass sie ihren Turnbeutel mitbringen sollen, vergessen sie schon einmal, aber dass ihnen der Banknachbar noch 2,75 Euro schuldet, vergessen die wenigsten. Es lohnt sich also, sich selbst und die Kinder mit allen einfallsreichen Methoden zu motivieren, gerne zu lernen, denn das ist auch im Erwachsenen-Alter und sogar in den späteren Jahren ein machtvoller Lebenssinn. „Lebenslanges Lernen“ hat ein früherer Institutsleiter der Fraunhofer Gesellschaft einmal postuliert. Und Rose Kennedy, die über 100 Jahre alt geworden ist, hat auf die Frage nach ihrem Jungbrunnen geantwortet: „Anstrengende geistige Arbeit!“ Das ist wahr. Die Natur duldet kein Vakuum, besonders der menschliche Geist verlangt nach Anregung, er ist wie ein Eichhörnchen, das immer eine Nuss zu knacken haben will.
Wieder löse ich mich aus dem Traum. Und ein Name hallt durch meinen Kopf:
„Katja Dofel!“
Ich brauchte eine Weile, um mich zu erinnern, wer Katja Dofel ist. Es ist die Frau, die bei n-tv die Telebörse vorträgt, und in einem begeisterten Ton von ihrem Moderator angekündigt wird.
Au weiha! Jetzt wird es aber Zeit, dass die Bundesliga wieder anfängt!